Donnerstag, 15. Juli 2010

Beton ist auch nur eine Pflanze

Autobahnen, Brücken, Bahnlinien, Häuser. Grau ist die Stadt der Zukunft. Durchbrochen nur von unzähligen bunten Lichtern harrt sie dem Verfall der Zeit. Je stärker die Sonne scheint, desto größer die Kontraste. Je dunkler die Nacht, desto mehr verschwindet alles hinter einem Schleier von Neonfarben...

Wird man denn nicht verrückt bei soviel Stadt?
Genau. Natur. Da war doch was. Dschungel. Wilde Wälder, wilde Tiere, wilde Inseln. Und vielleicht auch ein paar wilde Menschen? Keine sturen hämöglobiden Maschinen die mit starrem Blick in metallenen Kabinen durch unterirdische Röhren schießen? Irgendjemand hatte da was erzählt. Von so einem Ort. Innerhalb Japans. Denn was der gemeine Ausländer ja nicht weiß, Japan ist relativ groß. Beziehungsweiße vielleicht eher lang. Also oder eher aufgewürfelt. In viele kleine Inselchen, die von fast Äquator bis fast Sibirien reichen. Es gibt da also nicht nur Tokyo, sondern auch noch ganz viel anderes. Kälter, heißer, höher, tiefer, blauer, grüner, weißer, schöner, häßlicher. Also. Hinein in den Flieger. 2,5 nach Süden. Angekommen. Okinawa.

Moment. Dieses Okinawa. Kenn ich das nicht irgendwoher?
Sehr gut aufgepasst! Kleine Geschichtsexkursion für alle die in etwa Jahrgang 80 +- 5 Jahre sind. Das waren noch Filme. Besonders gut. Mr. Miyagi fängt Fliegen mit der Hand. Wollten wir nicht alle große Karate Kämpfer sein? Zumindest ich. Ich wollte.



Für alle Anderen. Die nicht in die oben genannte Altersklasse passen und dieses großartige Zeugnis der Filmkunst verpasst haben sollen. Guckt den Film oder lest selbst nach unter http://de.wikipedia.org/wiki/Präfektur_Okinawa. Der Geschichte und Geographie Okinawas ist es definitiv wert ein paar Minuten eurer kostbaren Zeit zu opfern.

Coole Sache. Und da gabs jetzt dann mehr Natur?
Naja. Also erstmal. Hm. Nicht unbedingt so direkt. Man landet da so. Naha heißt die Stadt. Groß. Übrigens Okinawa mit mehreren amerikanischen Militärbasen gesegnet. Also der Einfluß leider auch nicht ganz zu übersehen. Aber auch das typisch Japanische darf natürlich nicht fehlen. Heißt. Der gemeine Bayer kennt das von Zeiten des Landesvaters Edmund unter "da kann man direkt am Hauptbahnhof in den Flughafen einsteigen". Nur der Bayer redet, der Japaner tuts.



Schön. So eine Monorail. Hochbahn. Hauptsache Hoch. Und Beton. Egal ob sinnlos oder nicht. Aber eine Straßenbahn würds da nicht tun. Neeeeiin. Das wäre ja... äh, äh, äh, da könnte man ja nicht, äh, äh,...

Also jetzt moment mal. Ich hab doch da mal was gelesen. Sind die Japaner nicht diese Shintoisten? Diese Religion mit Naturgöttern, Leben mit Natur im Einklang und so?
Hab ich auch schon drüber nachgedacht. Es gibt ja unglaublich viele Schreine hier. Wobei das mit Glauben und so hier anders abläuft. Aber das ist eine andere Geschichte. Da denkt man eher an diese verrückte oder eher paradoxe Verquickung von Natur und Nicht-Natur. Ein wunderschönes Beispiel hierfür übrigens der Stadtstrand von Naha. Wunderschön denkt Ihr Euch sicher auch. Türkisblaues Wasser. Wunderbarer Sand. Ein kleiner Schrein auf einer Anhöhe überblickt die Bucht. Wenn man den Prospekt sieht:



Ist doch schick, denkst Du dir. Leider gibt es nur ein Problem. Dieser eine Blickwinkel. Den findet man leider nur an einem Punkt des Strands. Denn sonst. Ist wohl eher etwas anderes dominant. Mmm. Mir fehlen ein bisschen die Worte dies zu beschreiben... der Blick in die andere Richtung:



Ich bin mir nicht sicher. Ist es wirklich notwendig, vor den einzigen Stadtstrand zwei Autobahnen zu bauen? Nicht eine kleine, nein zwei große. Auf Stützen. Den badenden Japaner scheints aber nicht zu stören. Der springt da trotz Baulärm und so hübsch hinein ins kühle Nass. Ich auch. Musste mir das geben. Ich musste da rein. Es war heiß. Sehr heiß. Und schwül. Und. Es war toll. Sehr toll. Kühl in jedem Fall. Und dann kam die Erkenntnis. Beton ist auch nur Natur. Auch Autos und Züge und Plastik. Irgendwie alles Natur. Deswegen. Autobahn ist voll ok da. Eigentlich geradezu... schön. So wie sie dasteht. Eine Betonpflanze. Wächst und gedeiht. Wunderschön. Endlich. Endlich verstehe ich die Japaner.

Mmm tja. Ich finde das ja net so toll. Also Okinawa scheint keinen Urlaub wert zu sein eh?
Heeeee. Langsam. Das ist nur der Stadtstrand von Naha. Und Okinawa ist nur die Hauptinsel. Und nicht nur dass diese Hauptinsel groß ist und auch das eine oder andere echte Schmuckstückerl an Strand und Kultur bereithält. Nein. Rundherum endlose weitere kleinere Inseln. Ihr müsst Euch das so vorstellen. Nimmst du Indonesien, oder Thailand oder so. Nur die kleinen Inseln. Denkst du alle die westlichen Touristen weg. Legst eine Runde okinawesischer Kultur drüber. Schwupp. Bist du da.
Also folgendermaßen. Von Naha schnappt Ihr euch eine Fähre. Zum Beispiel Richtung Norden. Da kann man dann so ca alle 2h auf einer anderen Insel aussteigen. Zum Beispiel auf Okinoerabu-shima. Und plötzlich. Seid Ihr so weit weg von der Zivilisation wie Ihr es nie wolltet. Gefühlt die ersten Touristen seit Jahren. Aber ist doch super. Roller geliehen für fast lau. Einen Campingplatz. An einem einsamen Strand. Mit Wasserfall. Und Korallenriff. Für umsonst. Und kein Mensch da. Außer Euch. Da stellt man dann doch erstmal sein Zelt auf eh...






Also mehr Natur geht einfach nicht. Und hier hab ich auch das japanische Konzept noch mehr verstanden. Man baut halt mal was. Und lässt es dann verfallen. Oder überwuchern. Weil ist ja alles eh Natur. Alles eins. Beton ist eine Pflanze. Besonders schöne Beispiele auf dieser von den Touristen verlassenen Insel: Ein verlassener Campingplatz mit verwunschenem Aussichtsturm. Eines (von vielen) verlassenen Booten. Eine Treppe ins nirgendwo. Echt nirgendwohin.







Irgendwie. Manchmal scheint es so. Diese japanische Wirtschaftsblase in den 70er und 80ern. Da gings wohl richtig ab. Und seitdem. Eher weniger. Das zeigt sich nicht nur da. In Okinoerabu. Sondern auch woanders. Eigentlich überall. Der Schutz vor Verfall scheint nur noch in der großen Hauptstadt des Ostens zu funktionieren. Überall sonst spricht die Überalterung und die schwache Wirtschaft eine deutliche Sprache des Verfalls. Aber irgendwie auch schön. Dann ist wieder Platz. Für Tiere. Insekten vor allem. Moskitos. Spinnen. Raupen. Zikaden. Die einen singen dir ein Lied, dass du morgens keinen Wecker brauchst. Die anderen springen dir auf den Kopf wenn der Morgen Kummer und Sorgen vertreibt. Ein paar Stichli von den sirrenden Freunden mehr oder weniger ist auch ok. "Sharing is caring" gilt auch für Blut. Deswegen. Wenn Ihr mal nach Okinoerabu fahren wollt. Bringt ein bisschen Abenteuerlust mit. Und Moskitospray. Und erfreut Euch daran, so wenige Menschen wie noch nie zuvor in Japan auf einmal zu sehen. Und dann. Nehmt Euch eine Fähre, fahrt ein Stückerl zurück nach Naha. Und nehmt Euch eine neue Fähre. Diesmal eher Richtung Westen.


Hört sich alles richtig nach Abenteuer an. Kann man sich da auch erholen?
Hab ich doch gerade gesagt. Fähre nach Westen. Kerama-Shoto. Shoto heißt soviel wie Inselgruppe und macht seinem Namen alle Ehre. Und auch da. Erstmal Insel. Zamami-shima. Kleiner Hafen, kleines Dorf. Und dann. Dschungel. Sowas von kristallblaues Wasser. Sowas von Korallenriff. Sowas von Campingplatz direkt am Strand. Sowas von für fast kein Geld. Und nachdem man auf Okinoerabu war, freut man sich auch dann schon fast wieder über Menschen. Solange es sich so wunderbar in Grenzen hält. Auch hier von der japanischen Überfülle an kleinen Wuselwesen kaum etwas zu spüren. Der Japaner versteckt sich hier ohnehin wenn dann im Hotel oder auf seinem Tauchboot. Aber schnorcheln und am Strand liegen ist für den westlichen Touristen doch auch gut eh... Vor allem wenn das Korallenriff und die Schildkröten und die vielen bunten Fische keine 2m vom Strand entfernt rumschwirren.Und die Einsiedlerkrebse mit Ihren Muscheln dir auch nur am Strand um die Füße wuseln.
Und weil mehr Menschen auch weniger Insekten heißt. Kann man oben genanntes kurz zusammenfassen in: Einfach traumhaft. Empfehlenswert. Ehrlich. Ehrlich.







Und hier gibts echt keinerlei Beton?
Naja. Der Japaner wär wohl nicht er selbst, würde er nicht hier auch mal wieder was Hübsches, Dauerhaftes, natürlich Natürliches hinterlassen. Man muss ja schließlich seine Ingenieuere beschäftigen. Ist aber auch wichtig, dass die geschätzten 26 Einwohner von Aka-shima schnell und problemlos die 10 Einwohner von Geruma-shima erreichen. Am Besten bauen wir da einfach mal eine Brücke. Eine Fette. Natürlich. Aus Beton. Natürlich. Besonders schönes Detail: Direkt nachdem die Brücke auf festes Land trifft, wird aus 2 Fahrspuren eine Art Feldweg. Großartig.






Hast Du nicht auch irgendwas über die Menschen gesagt?
Ach ja. Der Japaner. In Tokyo. Habe ich ja schon Einiges geschrieben. Er rennt und rennt und rennt. Eher anders. Der Okinawese. Ob es an den Inseln liegt? Oder auch daran, dass die Okinawesen eigentlicher früher eine eigenständige Volksgruppe waren? Wer weiß dass schon. Wahrscheinlich beides. Jedenfalls. Menschen lächeln. Menschen ruhen. Menschen sitzen. Menschen trödeln, Menschen chillen. Vertreiben sich die Zeit. Spielen. Glotzen. Reden. Auch mit Dir. Wunderbar. Und sie essen Unmengen von Schwein. Und alles, wirklich alles davon. Deswegen besonders aussagekräftig. Diese Werbung. Die beiden Damen sind wohl so eine Art lokale Berühmtheit.



Schöner Schwenk auf die Reihe Kuriositäten! Was gibts denn hier diese Woche?
Einerseits... Wunderschöne Eigenart in Japan... Die Kanaldeckel sind allesamt verziert. Im Falle von Okinawa. Fische und Wale. Die Diskussion über Walfang führen wir aber unter dieser Rubrik nicht.
Andererseits... Auch das japanische Geschirr und Comicwesen verdient eigene Beachtung. Wer winket, der pinkelt. Oder. so.
Und dann natürlich eine großartige Auswahl verschiedenster sprachlicher Ergüsse. Erklärungen sind hierzu unnötig. Bedeutungsschätzungen aber immer erwünscht.













Hast du jetzt eigentlich Mr. Miyagi gefunden?
Leider nein. Vielleicht ist er mittlerweile ja auch sehr alt. Oder man hat ihn wegen seiner Fliegenfangfähigkeiten zur Schädlingsbekämpfung abkommandiert. Oder aber er hat sich auf einer der unzähligen Inseln vor seinen unzähligen Fans versteckt. Nichts desto trotz. Miyagisan. Ich werde Dich immer verehren. Und ich werde Dich weitersuchen.